Forschung
Die Ergebnisse der zweijährigen Voruntersuchung dienten als Vorbereitung bzw. Grundlage der Maßnahmenumsetzung im E+E-Hauptvorhaben. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Hauptvorhabens sind weitere Studien geplant. Im Folgenden werden die bereits durchgeführten Untersuchungen vorgestellt und ein Ausblick auf zukünftige Studien gegeben.
Evaluation der bereits durchgeführten Maßnahmen
Zentraler Bestandteil der Vorstudie war die Evaluation der bereits durchgeführten Maßnahmen innerhalb der Kalkmagerrasen des Diemeltals. Unsere Analysen verdeutlichen, dass die Entbuschungsflächen auf vielfältige Weise eine Bereicherung für die Kalkmagerrasen-Komplexe darstellen. So tragen sie unter anderem zu einer höheren Habitatheterogenität bei, die als Schlüsselfaktor für eine hohe Artenvielfalt angesehen wird. Die Entbuschungsflächen mit ihrer relativ hohen und dichten Vegetation sind aber auch aus Sicht des Klimawandels ein Gewinn, da sie aufgrund des kühleren Mikroklimas dürreempfindlichen Arten Ausweichmöglichkeiten bieten. Bemerkenswert sind zudem die Vorkommen einiger seltener Pflanzenarten wie dem Aufrechten und Deutschen Ziest (Stachys recta und Stachys germanica) sowie der hohe Anteil an Pollenquellen für spezialisierte Wildbienenarten. Darüber hinaus konnten wir zeigen, dass die Entbuschungsflächen von zahlreichen Zikadenarten besiedelt werden. Insbesondere Saumbewohner, also Arten, die sich gerne in einer dichten Krautschicht aufhalten, traten hier auf. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der regelmäßige Nachweis der Majoranblattzikade (Eupteryx origani). Die wärmeliebende Art gilt in Deutschland als stark gefährdet (Nickel et al. 2016).
Die zukünftigen Entbuschungsmaßnahmen sollten sich möglichst auf flachgründige, aber nicht zu steile Hänge (≤ 40°) konzentrieren. Vorteilhaft sind darüber hinaus geringe Nährstoffgehalte und eine gute Besonnung. Auf derartigen Standorten sind die Chancen am größten, dass sich typische Kalkmagerrasenarten und charakteristische Arten der wärmeliebenden Säume ansiedeln werden.
Quellen:
Poniatowski, D., Stuhldreher, G., Helbing, F., Hamer, U. & T. Fartmann (2020): Restoration of calcareous grasslands: The early successional stage promotes biodiversity. Ecological Engineering 151: 105858. doi: 10.1016/j.ecoleng.2020.105858
Helbing, F., Fartmann, T. & D. Poniatowski (2021): Restoration measures foster biodiversity of important primary consumers within calcareous grasslands. Biological Conservation 256: 109058. doi: 10.1016/j.biocon.2021.109058
Entwicklung und Erprobung von Methoden zum Insektenübertrag
Die Übertragung von Insekten (Wirbellosen) zur Wiederherstellung typischer Lebensgemeinschaften ist bislang nicht im Fokus der Renaturierungsökologie. Häufig wird angenommen, dass sich die typischen Tiergemeinschaften wieder einstellen werden, wenn sich die typische Vegetation entwickelt hat. In unseren stark fragmentierten Landschaften ist für viele Arten eine eigenständige Wiederbesiedelung aber häufig nicht möglich. Insbesondere wenig mobile Arten sind nicht in der Lage, isolierte Flächen zu erreichen. Abhilfe kann ein Insektenübertrag schaffen.
Eine geeignete und zunehmend eingesetzte Methode zur Erfassung von Wirbellosen ist die Verwendung eines modifizierten Laubsaugers mit einem am Rohrende angebrachten Gazebeutels. Diese Methode hat im Vergleich zum Kescher den Vorteil, dass mit geringem Aufwand eine hohe Anzahl an Individuen erfasst werden kann. Setzt man einen Sauger zur Erfassung von Wirbellosen ein, ist allerdings davon auszugehen, dass ein Teil der gefangenen Individuen im Beutel stirbt. Bislang gibt es hierzu aber keine Erfahrungen. Um dieses Wissensdefizit zu beheben, wurden im Rahmen der Vorstudie Methoden zur Übertragung von Wirbellosen erprobt und entwickelt.
Unsere Studie belegt, dass die Sterblichkeit der untersuchten Wirbellosen generell gering war. Über 90 % der gefangenen Tiere überlebten die Erfassung und auch die anschließende Hälterung (1 bis 3 Stunden). Allerdings war die Überlebensrate von verschiedenen Faktoren wie (i) der Hälterungszeit, (ii) den Hälterungsbedingungen und (iii) der Artengruppe abhängig. So überlebten nahezu alle der gefangenen Käfer und Wanzen die Prozedur. Demgegenüber hatten Spinnen und Zikaden eine deutlich höhere Sterblichkeit. Die Sterblichkeit stieg mit zunehmender Hälterungszeit an und konnte durch die Verwendung einer Kühlbox etwas gesenkt werden.
Der Einsatz eines Motorsaugers ist folglich ein geeignetes Hilfsmittel für den Insektenübertrag. Um die Sterblichkeit der sensiblen Artengruppen zu reduzieren, empfehlen wir die Verwendung einer Kühlbox. Zudem sollten die gefangenen Tiere möglichst zeitnah auf die Renaturierungsflächen übertragen werden.
Quelle: Helbing, F., Fartmann, T. & D. Poniatowski (2020): Suction samplers are a valuable tool to sample arthropod assemblages for conservation translocation. Entomologia Experimentalis et Applicata 168: 688-694. doi: 10.1111/eea.12952
Zukünftige Studien
Ein weiterer Bestandteil der Voruntersuchung war die Erfassung des Ist-Zustandes der zu entbuschenden Flächen im Warmetal (siehe Maßnahmen). Damit die Auswirkungen der Renaturierungsmaßnahmen bewertet werden können, ist es wichtig, den Zustand der Flora und Fauna vor der Entbuschung zu kennen. Als Untersuchungsobjekte dienen Heuschrecken sowie ausgewählte Tagfalter- und Pflanzenarten (= Zielarten). In der unmittelbaren Umgebung der Entbuschungsflächen konnten noch einige Zielarten nachgewiesen werden. Wir schätzen das Renaturiergungspotential daher als sehr hoch ein.
Ab Frühjahr 2020 werden wir die Renaturierungsflächen regelmäßig aufsuchen und überprüfen, welche Zielarten sich dort angesiedelt haben. Das Monitoring wird sich über einen Zeitraum von fünf Jahren erstrecken.
Im Rahmen einer weiteren Studie soll evaluiert werden, inwieweit ein Mahdgut- und Insektenübertrag auf ausgewählten Renaturierungsflächen zur Wiederansiedlung typischer Tier- und Pflanzenarten beitragen kann.
Veröffentlichungen der Arbeitsgruppe (Auswahl)
Insektenrückgang
(2019): Insektenrückgang und -schutz in den fragmentierten Landschaften Mitteleuropas. Natur und Landschaft 94: 261–270.
Globaler Wandel: Habitatfragmentierung und Metapopulationsökologie
(2021): Aussterbeschuld: zeitverzögertes Aussterben von Arten. Ein bislang in der Naturschutzpraxis kaum berücksichtigtes Phänomen. Naturschutz und Landschaftsplanung 53 (5): 14–19.
(2017): Überleben in fragmentierten Landschaften – Grundlagen für den Schutz der Biodiversität Mitteleuropas in Zeiten des globalen Wandels. Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (9): 277–282.
(2006): Oviposition preferences, adjacency of old woodland and isolation explain the distribution of the Duke of Burgundy butterfly (Hamearis lucina) in calcareous grasslands in central Germany. Annales Zoologici Fennici 43: 335–347.
Renaturierungsökologie
(2021): Kalkmagerrasenrenaturierung. - In: : Insektensterben in Mitteleuropa: Ursachen und Gegenmaßnahmen. - Eugen Ulmer, Stuttgart: 156–158.
Störungsökologie
(2017): Bodenstörende Ökosystem-Ingenieure im mitteleuropäischen Grasland und ihre Bedeutung für die Biodiversität. Eine Analyse am Beispiel der Gelben Wiesenameise und des Europäischen Maulwurfs. Naturschutz und Landschaftsplanung 49 (8): 252–259.
(2006): Welche Rolle spielen Störungen für Tagfalter und Widderchen? In: Fartmann, T. & Hermann, G. (Hrsg.): Larvalökologie von Tagfaltern und Widderchen in Mitteleuropa. Abhandlungen des Westfälischen Museums für Naturkunde 68 (3/4): 259–270.
Larvalökologie von Tagfaltern, Widderchen und Heuschrecken
doi:
10.1111/eea.12193
(2006): Oviposition preferences, adjacency of old woodland and isolation explain the distribution of the Duke of Burgundy butterfly (Hamearis lucina) in calcareous grasslands in central Germany. Annales Zoologici Fennici 43: 335–347.